„Meet Our Members“ ist eine Reihe, in der Liberties Ihnen unser Mitgliedernetzwerk vorstellt. Wir hören die Geschichten der Menschen hinter den Organisationen und erfahren, warum sie ihre Arbeit tun. Liberties ist ein Dachverband, der Kampagnen mit seinem wachsenden Netzwerk nationaler NGOs für bürgerliche Freiheiten in 18 EU-Mitgliedstaaten koordiniert.
Benjamin wuchs im Westen Frankreichs in einem Dorf in der Nähe von Segré auf, und man könnte sagen, dass seine Kindheit ihn auf eine Karriere im zivilgesellschaftlichen Bereich vorbereitet hat. Als der französische Staat versuchte, neben seinem Dorf Anlagen zur Entsorgung von Atommüll zu bauen, war sein Vater einer der Anti-Atomkraft-Aktivisten, die eine lokale Basisbewegung anführten. Alle schlossen sich zusammen, von Bauern und Umweltschützern bis hin zu lokalen Vertretern, und das Projekt wurde eingestellt. Benjamin wurde Zeuge davon, das bürgerliches Engagement erfolgreich sein kann. Hier erhielt
er den ersten Eindruck, wie die Macht der Gemeinschaft genutzt werden kann, um sich gegen unerwünschte staatliche Auflagen zu wehren.
Als Student war Benjamin entschlossen, seine Fähigkeiten nicht im privaten Sektor einzusetzen. Nach seinem Abschluss an der Sciences Po bekam er seine erste Stelle bei einer Organisation namens Sherpa, die sich zur Aufgabe machte, den Agrarkonzern Monsanto zu überwachen. Er arbeitete für die Kampagne „Combat-Monsanto“, die Monsantos Produkte, darunter GVO und Pestizide auf Glyphosatbasis, die als giftig für die Umwelt und die menschliche Gesundheit eingestuft werden, zu überwachen. Es folgte eine kurze Tätigkeit als Journalist. Benjamin lacht, als er mir davon erzählt, und bezeichnet sich selbst als „schlechten Journalisten”, da er hauptsächlich für kostenlose Aktivistenzeitungen schrieb und Schwierigkeiten hatte, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er hat auch zwei politische Essays verfasst und veröffentlicht, einen über die Macht der Bürger gegenüber Lobbyisten und einen über die „Square Democracy Movement” in Europa.
Ein voller Erfolg: Unterstützung von Frauen ohne Ausweise im Kampf für Mobilitätsgleichheit
Benjamins Leidenschaft für Aktivismus veranlasste ihn, sich bei VoxPublic zu engagieren, wo er Teil des ursprünglichen Teams war, das die Organisation vor sieben Jahren gegründet hat. Voxpublic ist die einzige Organisation dieser Art in Frankreich und besteht aus einem kleinen Team von vier Personen, das Basisverbände schult und unterstützt, die gegen Diskriminierung sowie soziale und ökologische Ungerechtigkeiten kämpfen. Das Ziel ist es, ihnen dabei zu helfen, ihre Kapazitäten bei der Mobilisierung und der Interessenvertretung aufzubauen und sie mit den notwendigen Werkzeugen auszustatten, damit sie ihre Arbeit autonom durchführen können. Benjamin ist dafür verantwortlich, Vereine bei der Entwicklung einer Interessenvertretungs-Strategie und deren Umsetzung zu unterstützen.
Ein Beispiel, auf das Benjamin besonders stolz ist, ist seine Arbeit mit CHO3 (Collective of Organized Residents of the 3rd arrondissement), einer lokalen Gruppe in Marseille, die sich hauptsächlich aus Frauen ohne Ausweispaiere zusammensetzt. Die Frauen wollten Preissenkungen für öffentliche Verkehrsmittel erwirken, um Menschen mit geringem Einkommen die Teilhabe zu ermöglichen, aber ihre Angst vor der Polizei und die feindselige Behandlung durch die konservative Metropole hielten sie davon ab, öffentliche Aktionen zu organisieren. Hier kam VoxPublic ins Spiel. Voxpublic unterstützte die Frauen dabei, Vertrauen in ihre Fähigkeiten zu gewinnen, indem es durch Schulungen und Strategieentwicklung auf ihre Bedürfnisse einging. Außerdem schuf es einen sicheren Rahmen für CHO3, indem es die Gruppe mit einer anderen Organisation in Kontakt brachte und einen Anwalt und einen Journalisten hinzuzog. Benjamin sagt, es sei „eine Freude“ gewesen, zu sehen, wie die Frauen sich organisierten und an ihrer ersten Protestaktion vor dem Stadtrat teilnahmen. Nach einer sechsmonatigen Kampagne unter dem Motto „Mobilität für alle“ gelang es den Frauen, eine 50-prozentige Ermäßigung der Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr zu erreichen.
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Rechtsstaatlichkeit in Gefahr: Frankreichs Zivilgesellschaft sieht sich zunehmender Unterdrückung ausgesetzt
Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass die sich wandelnde politische Landschaft in Europa es Bürgerinitiativen erschwert, in sozialen Fragen etwas zu bewegen. Im Bericht über die Rechtstaatlichkeit von Liberties schneidet Frankreich beim Schutz des zivilgesellschaftlichen Raums seit jeher schlecht ab. Im Rule of Law Report 2024 von Liberties berichtete VoxPublic, dass Organisationen, die sich für ethnische Minderheiten einsetzen, Solidaritätsproteste für Palästina, Klimaaktivisten und Gelbwesten Repressionen ausgesetzt waren. Gleichzeitig scheint es eine tolerantere Haltung gegenüber der Protestbewegung der Landwirte zu geben, bei der der Staat sogar ein Auge zudrückte, als unmaskierte Demonstranten zu gewalttätigen Mitteln griffen.
Benjamin unterstützt die Forderungen der Landwirte nach besseren Arbeitsbedingungen und Einkommen, aber die milde Reaktion der Regierung auf gewalttätige Proteste und ihre Bereitschaft, schnell zu verhandeln, wenn finanzielle oder wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stehen, stehen in krassem Gegensatz zu der harten Unterdrückung von Bewegungen, die sich für das öffentliche Interesse oder Minderheitenfragen einsetzen. Innerhalb von drei Wochen und nachdem sie mehrere öffentliche Gebäude und Zollfahrzeuge in Brand gesteckt hatten, gelang es den Bauern allein durch die Androhung, die Straßen rund um Paris zu blockieren, Verhandlungen zu eröffnen und umstrittene Umweltvorschriften aufzuheben, die laut Benjamin „für uns fünfzehn Jahre [zur Einführung] gebraucht haben”.
Verändern oder sterben: Die neue Taktik von Voxpublic zur Überwindung der Ausgrenzung der Zivilgesellschaft
Es wäre leicht, auf solche Rückschläge mit Pessimismus zu reagieren, und tatsächlich ist es heute nicht mehr so einfach wie zu Zeiten seines Vaters, Erfolge zu erzielen.
Laut Benjamin „waren während der ersten Amtszeit von Macron als Präsident Erfolge selten, aber wir haben es dennoch geschafft, einige Gesetze zu ändern und einige Punkte zu gewinnen. Jetzt ist alles blockiert und es gibt keine Konsultationen mehr.“ Die Verabschiedung der Rentenreformgesetze ohne Parlamentsabstimmung ist ein typisches Beispiel dafür. Laut dem Länderbericht Frankreichs in unserem aktuellen Rechtsstaatlichkeitsbericht wurde diese Maßnahme, ein Gesetz ohne Abstimmung zu verabschieden, die zwar in der französischen Verfassung (Artikel 49.3) vorgesehen ist, aber normalerweise auf begrenzte Situationen beschränkt ist, im Jahr 2023 23 Mal angewendet. Obwohl dies einen eklatanten Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit darstellt, wäre die einzige Alternative die Auflösung der Nationalversammlung, um durch eine Neuwahl eine bessere Mehrheit zu erzielen. Macron geht jedoch davon aus, dass dies nicht geschehen wird, da dies den Weg für einen Machtantritt der extremen Rechten ebnen könnte. Eine Gefahr, die das Lager des Präsidenten immer wieder ins Feld führt, um seinen eigenen Autoritarismus zu rechtfertigen.
Anstatt die Hoffnung aufzugeben, ändert VoxPublic seine Taktik. Benjamin erzählt mir, dass VoxPublic früher Organisationen darin geschult hat, zu verhandeln und Politiker zu erreichen. Inziwchen hätten sie die Verhandlungen komplett aufgegeben. Stattdessen lehrt VoxPublic Organisationen von Anfang an, wie sie ein Machtgleichgewicht aufbauen können, indem sie öffentliche Unterstützung generieren und mit den Medien zusammenarbeiten. Dies beinhaltet zwar eine aggressivere Kommunikationsstrategie, aber das Ziel ist nicht, Politiker zu verärgern, sondern darauf hinzuweisen, dass sie sich nicht an die Regeln halten, und systemische Verzerrungen aufzuzeigen.
Die Flexibilität des französischen Mediensektors macht diese Zusammenarbeit möglich. Obwohl Benjamin die Bedrohung durch das ständig wachsende Medienimperium von Vincent Bolloré, das die extreme Rechte unterstützt, mit Vorsicht betrachtet, ist er optimistisch, was die große Vielfalt unabhängiger Zeitungen angeht, insbesondere das gemeinnützige Modell, das investigative Medienunternehmen anwenden, um das turbulente Medienumfeld zu überstehen.
Der rechtsextremen Szene einen Schritt voraus sein
In Bezug auf laufende Projekte erzählt mir Benjamin, dass VoxPublic die Arbeit einer Vereinigung in Paris namens La Cloche unterstützt, die sich aus Obdachlosen zusammensetzt. Ihre Mission ist es, sich gegen die Installation aggressiver städtischer „Anti-Obdachlosen”-Vorrichtungen zu wehren, die verhindern sollen, dass Obdachlose in öffentlichen Räumen campen, was mit den bevorstehenden Olympischen Spielen voraussichtlich zunehmen wird.
Angesichts der Aussicht auf eine rechtsgerichtete Regierung und der aktuellen Bedrohung durch radikale rechte Gruppen entwickelt VoxPublic neue Projekte, um zu verstehen, wie sich die Zivilgesellschaft in einer ungewissen Gegenwart und Zukunft schützen kann. Dazu wird VoxPublic zivilgesellschaftliche Organisationen und Gründer von gemeinnützigen Organisationen oder nicht gewinnorientierten Genossenschaften zusammenbringen, um eine Gegenstrategie für die Kommunalwahlen 2026 und die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2027 auszuarbeiten.
In diesem Zusammenhang plant VoxPublic, zivilgesellschaftliche Organisationen aus anderen europäischen Ländern einzuladen, um von ihren Erfahrungen im Kampf gegen rechtsextreme Wahlkampagnen zu lernen Die wurde ihnen dank der Finanzierung durch das CERV-Re-Grant-Programm von Liberties ermöglicht.
Benjamin sagt dazu
: „Die Teilnahme an der Liberties-Koalition gibt uns die Möglichkeit, unsere französischen Perspektiven mit denen unserer europäischen Nachbarn zu vergleichen. Durch unsere Zugehörigkeit zum Netzwerk haben wir Zugang zu einem Verzeichnis von Aktivisten, die wir zu Veranstaltungen oder Webinaren einladen können, um uns über bewährte Verfahren auszutauschen. Darüber hinaus ermöglicht uns das Netzwerk, uns an der europäischen Interessenvertretung für Rechte und Freiheiten zu beteiligen. Für eine kleine Organisation wie die unsere wäre es zu schwierig, dies allein zu tun und Zugang zu europäischen öffentlichen Mitteln zu erhalten.“